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«Der Druck ist weg - endgültig» - Interview Pirmin Reichmuth

06.09.25

Jahre­lang war Pirmin Reich­muth das Aushängeschild des Inner­schweiz­er Schwingerver­bands. Er gewann zweimal den pres­tigeträchti­gen Brünig Schwinget, ins­ge­samt neun Kranzfest­siege und vier Eid­genös­sis­che Kränze. Doch es gab auch die Schat­ten­seit­en: Der Zuger erlitt vier Kreuzban­drisse. Wie hätte seine Kar­riere ohne die schw­eren Ver­let­zun­gen ver­laufen? Reich­muth hat dazu eine klare Meinung. 

Sie haben emo­tionale Tage hin­ter sich. Wie geht es Ihnen? 

Pirmin Reich­muth: Ich glaube, Erle­ichterung ist das richtige Wort. Der Druck ist weg — und zwar endgültig. Ich kon­nte einen sauberen Abschluss machen. Jet­zt freue ich mich auf alles, was noch kommt. 

Schauen wir nochmals zurück aufs Eid­genös­sis­che. Sie woll­ten am Son­ntag­mor­gen den Wet­tkampf abbrechen. Und sind dann trotz­dem ange­treten. Was war passiert? 

Sehr viel (lacht). Am Sam­stagabend, im 4. Gang, habe ich gemerkt, dass im recht­en Knie etwas kaputtge­gan­gen ist. Wir reden von dem­jeni­gen Knie, in dem ich schon dreimal das Kreuzband geris­sen hat­te. Den Platz habe ich ja dann sehr langsam ver­lassen. Und zwar nicht nur wegen der Schmerzen, son­dern weil mir klar wurde, dass dies nun mein aller let­zter Auftritt war. Ich wusste ja schon lange, dass ich nach dem Eid­genös­sis­chen aufhören will. Doch am Sam­stagabend hat­te ich plöt­zlich real­isiert, dass dies nun mein let­zter Gang gewe­sen war. Das war sehr hart für mich. 

Warum haben Sie sich umentsch­ieden? 

Wir sind dann zum Keren­zer­berg zurück, haben Znacht gegessen und sind ins Bett. In der Nacht hat­te ich Schmerzen. Am näch­sten Mor­gen war das Knie richtig geschwollen, es tat richtig weh. Ich habe dann unserem Tech­nis­chen Leit­er Ste­fan Muff gesagt, dass ich nicht mehr schwin­gen könne. Je länger ich meinen Entscheid durch­dachte, desto deut­lich­er spürte ich: Wenn ich es nicht wenig­stens ver­suchen würde, würde ich das später wom­öglich bereuen. 

War das Risiko nicht enorm, dass noch mehr beschädigt wer­den könnte? 

Doch, das Risiko war riesig. Mit 24 Jahren hätte ich den Wet­tkampf sich­er been­det. Aber es war mein let­ztes Schwingfest. Ich war mir sich­er, dass mich ein solch­er Abschluss beschäfti­gen würde. Ich kann mein­er Tochter nicht predi­gen, sie solle auf die Zähne beis­sen, während ich das selb­st nicht vor­lebe. Und ich musste tat­säch­lich beis­sen. Ich kon­nte mich nicht aufwär­men, ich kon­nte nicht joggen, ich kon­nte nicht ein­mal eine Kniebeuge machen. Ich beschloss dann, nicht mehr über die rechte Seite zu ziehen. Ich hat­te dann das Glück, dass ich drei mach­bare Geg­n­er zugeteilt bekam. 

Was ist denn nun kaputtge­gan­gen im Knie? 

Ich habe am Mittwochmor­gen ein MRI gemacht. Und der Unter­such hat ergeben, dass ich mir auf der Innen­seite des Knies den Meniskus geris­sen hat­te. Zum Glück habe ich das am Woch­enende nicht gewusst. Ich hätte sich­er noch mehr Respekt gehabt. Aber ich musste in den let­zten Tagen schon etwas büssen. Die Schmerzen sind ziem­lich stark. 

Gibt es bleibende Schäden? 

Schauen Sie … Ich habe viele Knor­pelschä­den im Knie, ich habe Arthrose. Ich muss es vielle­icht so erk­lären: Im let­zten Som­mer hat­te ich eine kleinere Oper­a­tion. Jeden­falls hat mir dort der Radi­ologe gesagt, ich hätte das Knie eines 80-Jähri­gen. Da habe ich den Entschluss gefasst, dass es nur noch eine Sai­son geben wird. 

Warum haben Sie nicht sofort aufgehört? 

Ich wollte nicht mit ein­er Ver­let­zung aufhören. Ich kenne soviel Ex-Sportler, die mit ein­er Ver­let­zung aufhörten und dann diesen Groll in sich herum­tra­gen. Ich bin Phys­io­ther­a­peut, mein Beruf hil­ft mir. Ich weiss, was ich machen muss. Ich investiere viel in die Gesund­heit mein­er Gelenke. Diese Knor­pelschä­den hat­te ich ja eh schon. Deshalb sagte ich, eine Sai­son ist vertretbar. 

Ver­spüren Sie auch Wehmut? 

Bis jet­zt noch nicht. Oder ich muss es so sagen: Am Mon­tag­mor­gen fand ich es schon krass, dass ich nie mehr ein Eid­genös­sis­ches als Schwinger erleben werde. Vielle­icht klingt es blöd, aber gle­ichzeit­ig bin ich auch froh, dass ich es nicht mehr erleben muss. Dieser Druck, der auf uns lastet, ist unglaublich. Eigentlich sind die Schwinger am Ende. 

Ist es so schlimm? 

Ich glaube, das kann man sich von aussen nicht vorstellen. Ich habe bei der Rangverkündi­gung mit einem Schwinger gere­det, der auch den Kranz gewann, ein cool­er Typ. Und er sagte mir, dass er die Woche vor dem Fest kaum mehr schlafen kon­nte wegen der Ner­vosität. Er kon­nte sog­ar nicht mal mehr richtig essen. Da fragst du dich schon auch, ob sich das lohnt, soviel dafür in Kauf zu nehmen. 

Was wer­den Sie vermissen? 

Die Men­schen werde ich ver­mis­sen, Schwinger und Betreuer. Aber auch die Emo­tio­nen. Wenn du einen solchen Moment erleben darf­st wie ich nach meinem let­zten Gang, wenn dich so viele Leute feiern und die Welle machen, das ist kaum zu beschreiben. Da kannst du noch so erfol­gre­ich sein in deinem Job, sowas wirst du dort nicht erleben. 

Welch­er war ihr bester Moment im Sägemehl? 

Von den Emo­tio­nen her war es mein Sieg im 4. Gang gegen Chris­t­ian Stuc­ki beim Eid­genös­sis­chen in Prat­teln 2022. Mehr geht nicht. Aber mein aller let­zter Gang, gegen Armon Orlik, kommt nahe ran. Ich kon­nte es geniessen, ich hat­te über­haupt kein Ziel mehr in diesem Gang. Ich bin das let­zte Mal in diese Are­na gelaufen und kon­nte alles aufsaugen. 

Nun hören Sie mit 29 Jahren auf. Viele sagen, bei Pirmin Reich­muth wäre noch viel mehr möglich gewe­sen ohne die Verletzungen. 

Ich weiss … das habe ich schon oft gehört. Aber ich selb­st hat­te diesen Gedanken noch nie. Ins­ge­samt habe ich ja nur sechs Saisons geschwun­gen. Aber: Ich habe vier Eid­genös­sis­che Kränze gewon­nen. Ich hat­te also das Glück, dass ich in den Eid­genös­sis­chen Jahren nie ver­let­zt war. 2017, beim drit­ten Kreuzban­driss, wollte ich eigentlich aufhören. Hätte ich das tat­säch­lich gemacht, hätte ich vieles nicht mehr erleben kön­nen. Seit 2017 ist eigentlich alles Zugabe. Deshalb ver­spüre ich auch keinen Groll. 

Beim Eid­genös­sis­chen in Zug 2019 wäre eigentlich alles bere­it gewe­sen für den Königsti­tel. Ja, aber ich selb­st war noch nicht bere­it dafür. Ich war zu jung, ich war diesem ganzen Druck ein­fach emo­tion­al nicht gewach­sen. 2022 war es anders. Da war ich schon sehr ent­täuscht. Es gab diesen Fehlentscheid im Gang gegen Bern­hard Kämpf. Wenn sie mir das Resul­tat geben, bin ich im Schlussgang. Es hat nicht sein wollen. Vielle­icht musste es so sein. 

Auch in diesem Jahr mussten die Inner­schweiz­er einen Fehlentscheid hinnehmen. 

Es gab tat­säch­lich krasse Fehlentschei­de. Der Fehler beim Gang zwis­chen Wic­ki und Col­laud darf schlicht nicht passieren. Es soll jet­zt keineswegs eso­ter­isch klin­gen, aber ich bin wirk­lich der fes­ten Überzeu­gung, dass sich dies inner­halb ein­er Kar­riere aus­gle­icht. Wenn es 2022 einen VAR gegeben hätte, wäre Joel Wic­ki wahrschein­lich nicht Schwingerkönig gewor­den, weil man gese­hen hätte, dass er im entschei­den­den Moment keinen Griff hatte. 

Wie ste­hen Sie zum Videobeweis? 

Ich würde es so machen, dass es in einem Eid­genös­sis­chen Schlussgang einen Videobe­weis geben würde. Dort geht es ein­fach um sehr viel Geld. Und wenn da ein Fehler passiert, ist es für die betrof­fe­nen Kampfrichter und Schwinger wirk­lich nicht lustig. 

Ihnen wurde oft nachge­sagt, dass Sie ein intel­li­gen­ter Men­sch seien, der lei­der zu viel über­legt. Ist da was dran? 

Das stimmt schon. Ich habe schon immer sehr viel hin und her über­legt. Da stand ich mir oft­mals im Weg. Ich hätte wohl mehr erre­ichen kön­nen, wenn ich immer frisch von der Leber geschwun­gen hätte. 

Die Kar­riere ist vor­bei. Wer­den Sie nun Funktionär? 

Es gibt nicht viele Schwinger, die dem Sport den Rück­en kehren. Dass man irgend­wo ein Amt übern­immt, ist ja eigentlich Ehren­sache. Ich werde ja in weni­gen Wochen zum zweit­en Mal Vater. Solange die Kinder klein sind, werde ich aber wohl nicht eine grosse Auf­gabe irgend­wo übernehmen. 

Das Inter­view wurde von Clau­dio Zani­ni geführt und wurde am 06.09.2025 in der Luzern­er Zeitung und ver­schiede­nen anderen Zeitun­gen veröfentlicht. Vie­len Dank an Clau­dio für das zu Ver­fü­gung stellen.